Stichtagsregelung für Gewerkschaftsmitglieder

Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 15.04.2015 – 4 AZR 796/13

Ein Haustarifvertrag mit sozialplanähnlichem Inhalt für Leistungen, die zur Abmilderung der wirtschaftlichen und sozialen Nachteile an tarifgebundene Arbeitnehmer gezahlt werden, kann eine Stichtagsreglung vorsehen, nach der ein Anspruch nur für diejenigen Mitglieder besteht, die zum Zeitpunkt der tariflichen Einigung der Gewerkschaft bereits beigetreten waren.

Die Klägerin beansprucht von den beiden Beklagten Leistungen nach einem Haustarifvertrag. Die tarifgebundene Beklagte zu 2) plante zu Beginn des Jahres 2012 ihren Betrieb zu schließen. In Verhandlungen mit dem in diesem Betrieb bestehenden Betriebsrat und der zuständigen Gewerkschaft konnte eine vollständige Schließung abgewendet werden. Die Beklagte zu 2) und die Gewerkschaft schlossen einen „Transfer- und Sozialtarifvertrag“. Dieser Tarifvertrag sieht für den Fall einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten zu 2) zum 30.04.2012 und gleichzeitiger Begründung eines „Transferarbeitsverhältnisses“ mit der Beklagten zu 1) in einer betriebsorganisatorisch eigenständigen Einheit durch Abschluss eines dreiseitigen Vertrags u.a. die Zahlung von Abfindungen bis zu EUR 110.000,00 durch die Beklagte zu 2) vor. Weiter vereinbarten die Beklagte zu 2) und der Betriebsrat einen „Interessenausgleich“, mit dem auch die Regelungen dieses Tarifvertrags „für alle betroffenen Beschäftigten abschließend übernommen“ werden. Schließlich schlossen die Beklagte zu 2) und die Gewerkschaft einen weiteren, ergänzenden Tarifvertrag (ETV), der nach seinem persönlichen Geltungsbereich nur für diejenigen Gewerkschaftsmitglieder gelten soll, „die bis einschließlich 23.03.2012, 12.00 Uhr Gewerkschaftsmitglied geworden sind“. Der ETV regelt eine weitere Abfindung von EUR 10.000,00 sowie eine um 10 % höhere Bemessungsgrundlage für das Monatsentgelt im Rahmen des Transferarbeitsverhältnisses. Die Klägerin unterzeichnete mit beiden Beklagten einen dreiseitigen Vertrag, in welchem für den Abfindungsanspruch und die Monatsvergütung auf die beiden Tarifverträge Bezug genommen wird. In der Zeit von Juli 2012 bis Januar 2013 war die Klägerin Mitglied der die obigen Tarifverträge abschließenden Gewerkschaft. Sie verlangt von den Beklagten die im ETV vorgesehenen weiteren Leistungen.

Die Klägerin blieb ohne Erfolg. Nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts sind die Anspruchsvoraussetzungen des ETV nicht gegeben. Die im persönlichen Geltungsbereich des ETV vereinbarte Stichtagsregelung – 23.03.2012 – ist wirksam. Entgegen der Auffassung der Klägerin handele es sich dabei nicht um eine sog. einfache Differenzierungsklausel, die zwischen Gewerkschaftsmitgliedern einerseits sowie nicht und anders tarifgebundenen Arbeitnehmern – sog. Außenseitern – andererseits unterscheidet. Der TV und der ETV differenzierten in ihrem personellen Geltungsbereich zwischen verschiedenen Gruppen von Mitgliedern der Gewerkschaft und damit allein zwischen tarifgebundenen Arbeitnehmern, also ohnehin zwischen denjenigen Beschäftigten, denen ein Tarifvertrag nur Ansprüche vermitteln kann. Die Stichtagsregelung formuliere lediglich Anspruchsvoraussetzungen für (rein) tarifliche Leistungen. Die Bestimmungen des ETV erwiesen sich auch im Hinblick auf den tariflichen Regelungsgegenstand als wirksam, nachdem den Tarifvertragsparteien bei der Bestimmung von Umfang und Voraussetzungen von Ausgleichs- und Überbrückungsleistungen anlässlich einer Teilbetriebsstillegung ein weiter Gestaltungsspielraum zukomme. Die „Binnendifferenzierung“ zwischen Gewerkschaftsmitgliedern schränke weder die Handlungs- oder die Vertragsfreiheit des Arbeitgebers noch die von sog. Außenseitern ein. Diesem Personenkreis bleibe es unbenommen, seine vertraglichen Beziehungen frei zu gestalten. Auch steht der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz nicht entgegen. Schließlich verstoße auch der „Interessenausgleich“ nicht gegen den betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz nach § 75 S. 1 BetrVG (Betriebsverfassungsgesetz). Die Betriebsparteien hätten durch die Übernahme der Regelungen des TV, nicht aber des ETV, gerade davon abgesehen, Bestimmungen mit einzubeziehen, die an eine Gewerkschaftsmitgliedschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt anknüpfen.

Fazit: Tarifverträge gelten gemäß § 4 Abs. 1 TVG (Tarifvertragsgesetz) unmittelbar und zwingend für ein Arbeitsverhältnis, wenn beide Parteien des Arbeitsverhältnisses tarifgebunden sind. Dies sind sie, wenn der Arbeitgeber Mitglied des tarifvertragsschließenden Arbeitgeberverbands ist oder den (Firmen-)Tarifvertrag selbst abgeschlossen hat und der Arbeitnehmer Mitglied der tarifvertragsschließenden Gewerkschaft ist (§ 3 Abs. 1 TVG).

Gewerkschaften begehren bei Tarifverhandlungen oftmals einen sog. Gewerkschaftsbonus für ihre Mitglieder, dass diese dann – anders als Beschäftigte, die nicht Mitglied dieser Gewerkschaft sind – Anspruch auf zusätzliche tarifliche Leistungen gegenüber dem Arbeitgeber haben. Eine solche Regelung wird als Differenzierungsklausel bezeichnet, da zwischen Mitgliedern dieser Gewerkschaft und nicht bzw. in einer anderen Gewerkschaft organisierten Beschäftigten differenziert wird. Ziel der Gewerkschaften ist es, durch diese Zusatzleistungen neue Mitglieder zu. Eine nach der Rechtsprechung zulässige, einfache Differenzierungsklausel macht eine einzelne, anspruchsbegründende tarifliche Regelung ausdrücklich von der Mitgliedschaft in einer bestimmten Gewerkschaft (nämlich die am Tarifvertrag beteiligte) abhängig, d. h. wer nicht Mitglied dieser konkreten Gewerkschaft ist, bekommt die tarifliche Leistung nicht. Voraussetzung ist aber, dass der Tarifvertrag dem Arbeitgeber die Entscheidung darüber belässt, ob er auch Arbeitnehmer, die nicht in der Gewerkschaft sind (sog. „Außenseiter“), in den Genuss der tariflichen Leistung kommen lassen will oder nicht.

Die Vereinbarung von Zusatzleistungen für Gewerkschaftsmitglieder muss sich nicht am arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz messen lassen. Es wird die Angemessenheit von Verträgen tariffähiger Vereinigungen vermutet und diese werden daher nicht anhand des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes überprüft.

Im vorliegenden Fall wurde jedoch eine – ebenfalls zulässige – Stichtagsregelung getroffen, nach der zwischen Gewerkschaftsmitglied – je nach Eintrittsdatum – unterschieden wurde.