Vetter Gerlach Hartmann Rechtsanwälte
Aktuelle Fachbeiträge
 

Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 04.09.2014 – C-452/13 „Ankunftszeit“ erst beim Öffnen der Flugzeugtüren

Die Art. 2, 5 und 7 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 sind dahin auszulegen, dass der Begriff „Ankunftszeit“, der verwendet wird, um das Ausmaß der Fluggästen entstandenen Verspätung zu bestimmen, für den Zeitpunkt steht, zu dem mindestens eine der Flugzeugtüren geöffnet wird, sofern den Fluggästen in diesem Moment das Verlassen des Flugzeugs gestattet ist.

Das Flugzeug der Germanwings GmbH startete am 11.Mai 2012 mit Verspätung am Startflughafen. Es setzte um 17.38 Uhr am Zielflughafen auf der Landebahn auf, erreichte seine endgültige Parkposition erst um 17.43 Uhr und somit 3.03 Stunden nach der planmäßigen Ankunftszeit. Die Flugzeugtüren wurden kurz danach geöffnet und die Passagiere durften das Flugzeug verlassen.

Der klagende Passagier machte nun eine Ausgleichszahlung in Höhe von € 250,00 nach Art. 5 bis 7 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 geltend. Germanwings wandte ein, dass die Verspätung gegenüber der geplanten Ankunft nur 2.58 Stunden betragen würde, da die tatsächliche Ankunft der Zeitpunkt gewesen sei, zu dem die Räder des Flugzeugs die Landebahn des Ankunftflughafens berührt hätten. Daher habe der Passagier keinen Anspruch auf Ausgleichszahlung nach der Verordnung.

Das erstinstanzliche Gericht folgte der Auffassung des Passagiers und verurteilte Germanwings zur Ausgleichszahlung. Germanwings legte daraufhin Berufung beim vorlegenden Gericht ein. Dieses beschloss, das Verfahren auszusetzen und dem Gericht folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Welcher Zeitpunkt ist für den in Art. 2, 5 und 7 der Verordnung Nr. 261/2004 verwendeten Begriff „Ankunftszeit“ maßgeblich:

  • der Zeitpunkt des Aufsetzens des Flugzeugs auf der Rollbahn („Touchdown“) (a);
  • der Zeitpunkt, zu dem das Flugzeug seine Parkposition erreicht hat und die Parkbremsen gesetzt bzw. die Bremsklötze angebracht wurden („In-Block-Zeit“) (b);
  • der Zeitpunkt des Öffnens der Flugzeugtür (c);
  • ein von den Parteien im Rahmen der Privatautonomie definierter Zeitpunkt (d)?

Der Gerichtshof entschied sich für den Zeitpunkt (c) und begründete dies damit, dass sich die Fluggäste während des Fluges nach Weisungen und unter der Kontrolle des Luftfahrtunternehmens in einem geschlossenen Raum aufhalten, in dem ihre Möglichkeiten, mit der Außenwelt zu kommunizieren, aus technischen und aus Sicherheitsgründen erheblich beschränkt sind. Unter solchen Umständen können sich die Fluggäste nicht weiter um ihre persönlichen, familiären, sozialen oder beruflichen Angelegenheiten kümmern. Erst wenn der Flug beendet ist, können sie sich wieder in gewohnter Weise betätigen. Solange der Flug die planmäßige Dauer nicht überschreitet, sind solche Unannehmlichkeiten zwar als unumgänglich anzusehen; dies gilt jedoch nicht für eine Verspätung, da die Zeit, die unter den in der vorstehenden Randnummer beschriebenen Umständen über die planmäßige Flugdauer hinaus verstrichen ist, „verlorene Zeit“ darstellt, und zwar auch deshalb, weil die betroffenen Fluggäste diese Zeit nicht für die Ziele verwenden können, die sie dazu veranlasst haben, sich zur vereinbarten Zeit an den Zielort ihrer Wahl zu begeben. Der Begriff „tatsächliche Ankunftszeit“ ist somit im Kontext der Verordnung Nr. 261/2004 dahin zu verstehen, dass er dem Zeitpunkt entspricht, zu dem die Weisungsgebundenheit und Kontrollsituation durch das Luftfahrtunternehmen endet.

Fazit:

In diesem Urteil des EuGH hat der Gerichtshof erneut die verbraucherschützende Funktion der Verordnung (EG) 261/2004 hervorgehoben. Das Aufsetzen auf der Landebahn oder das Erreichen der Parkposition beenden nicht die Weisungsgebundenheit des Passagiers, da er erst nach dem Öffnen der Tür die Erlaubnis erhält, das Flugzeug zu Verlassen und sich wieder frei zu bewegen.

Leider reicht in der Praxis oft der Verweis des Passagiers auf die EG-Verordnung nicht aus, um das Luftfahrtunternehmen zu einer Ausgleichszahlung zu bewegen. Hier hilft meist nur der Gang zum Rechtsanwalt weiter.

Das könnte Sie auch interessieren