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Condor – Rettungsbeihilfe

Urteil in der Rechtssache T-577/20 Ryanair / Kommission

Das Gericht der Europäischen Union bestätigt die Vereinbarkeit der deutschen Rettungsbeihilfe zugunsten von Condor mit dem Unionsrecht. Dass die finanziellen Schwierigkeiten von Condor auf der Liquidation der Thomas Cook Gruppe beruhten, stand der Genehmigung dieser Beihilfe durch die Kommission nicht entgegen. Am 25.09.2019 beantragte die Fluggesellschaft Condor Flugdienst GmbH (im Folgenden: Condor), die hauptsächlich für Reiseveranstalter Luftverkehrsdienste von mehreren deutschen Flughäfen aus erbringt, die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens aufgrund der Liquidation der Thomas Cook Group plc (im Folgenden: Thomas Cook Gruppe), die 100 % der Anteile an ihr hielt. Am selben Tag meldete die Bundesrepublik Deutschland bei der Europäischen Kommission eine Rettungsbeihilfe zugunsten von Condor an, die auf sechs Monate begrenzt war. Die angemeldete Beihilfe zielte darauf ab, den regulären Luftverkehr aufrechtzuerhalten und die durch die Liquidierung ihrer Muttergesellschaft verursachten negativen Auswirkungen für Condor, ihre Fluggäste und ihre Mitarbeiter dadurch in Grenzen zu halten, dass es Condor ermöglicht werden sollte, ihre Tätigkeit so lange fortzusetzen, bis eine Vereinbarung mit ihren Gläubigern erzielt und gegebenenfalls ihre Veräußerung durchgeführt würde. Ohne das förmliche Prüfverfahren nach Art. 108 Abs. 2 AEUV einzuleiten, stufte die Kommission die angemeldete Maßnahme mit Beschluss vom 14.10.2019 (im Folgenden: angefochtener Beschluss) 1 als staatliche Beihilfe ein, die gemäß Art. 107 Abs. 3 Buchst. c AEUV und den Leitlinien für staatliche Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung nichtfinanzieller Unternehmen in Schwierigkeiten 2 mit dem Binnenmarkt vereinbar sei. Die von der Fluggesellschaft Ryanair DAC (im Folgenden: Klägerin) erhobene Nichtigkeitsklage gegen diesen Beschluss wird von der Zehnten erweiterten Kammer des Gerichts abgewiesen. Bei dieser Gelegenheit konkretisiert das Gericht u. a. die Prüfung der Vereinbarkeit von Rettungs[1]und Umstrukturierungsbeihilfen mit dem Binnenmarkt im Hinblick auf die in den Leitlinien vorgesehene Regel, wonach solche Beihilfen einem einer Gruppe angehörenden Unternehmen nur dann gewährt werden können, wenn es sich um Schwierigkeiten dieses Unternehmens selbst handelt, die nicht auf eine willkürliche Kostenverteilung innerhalb der Gruppe zurückzuführen sind und die so gravierend sind, dass sie von der Gruppe selbst nicht bewältigt werden können.

Würdigung durch das Gericht

Das Gericht weist erstens die Nichtigkeitsgründe zurück, mit denen geltend gemacht wird, die Kommission habe einen Rechtsfehler begangen, indem sie entschieden habe, kein förmliches Prüfverfahren einzuleiten, obwohl sie bei der vorläufigen Prüfung der Vereinbarkeit der angemeldeten Beihilfe mit dem Binnenmarkt hätte Bedenken haben müssen. Insoweit hat die Klägerin insbesondere geltend gemacht, dass die Feststellung der Vereinbarkeit der angemeldeten Beihilfe mit dem Binnenmarkt gegen Rn. 22, Rn. 44 Buchst. b und Rn. 74 der 1 Beschluss C(2019) 7429 final der Kommission vom 14.10.2019 über die staatliche Beihilfe SA.55394 (2019/N) – Deutschland – Rettungsbeihilfe für Condor (ABl. 2020, C 294, S. 3). 2 Leitlinien für staatliche Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung nichtfinanzieller Unternehmen in Schwierigkeiten (ABl. 2014, C 249, S. 1, im Folgenden: Leitlinien). www.curia.europa.eu Leitlinien verstoße, was auf Bedenken hindeute, die die Kommission hätten veranlassen müssen, das förmliche Prüfverfahren einzuleiten. Das Gericht bestätigt zwar, dass die Kommission verpflichtet ist, das förmliche Prüfverfahren einzuleiten, wenn Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit einer angemeldeten Beihilfe mit dem Binnenmarkt bestehen, weist aber als Erstes die Rüge eines von der Kommission begangenen Verstoßes gegen Rn. 22 der Leitlinien zurück. Gemäß Rn. 22 „[kommt e]in Unternehmen, das einer größeren Unternehmensgruppe angehört …, … für Beihilfen auf der Grundlage dieser Leitlinien grundsätzlich nur dann in Frage, wenn es sich bei den Schwierigkeiten des betreffenden Unternehmens nachweislich um Schwierigkeiten des Unternehmens selbst handelt, die nicht auf eine willkürliche Kostenverteilung innerhalb der Gruppe zurückzuführen sind und die so gravierend sind, dass sie von der Gruppe selbst nicht bewältigt werden können“. Im Hinblick auf den Satzbestandteil „nur …, wenn es sich bei den Schwierigkeiten des betreffenden Unternehmens nachweislich um Schwierigkeiten des Unternehmens selbst handelt, die nicht auf eine willkürliche Kostenverteilung innerhalb der Gruppe zurückzuführen sind“ ergibt sich nach Auffassung des Gerichts aus einer wörtlichen, teleologischen und systematischen Auslegung dieser Rn. 22, dass dieser Satzbestandteil lediglich eine einzige Voraussetzung enthält, die dahin auszulegen ist, dass Schwierigkeiten eines einer Unternehmensgruppe angehörenden Unternehmens als ihm spezifische Schwierigkeiten anzusehen sind, wenn sie nicht auf eine willkürliche Kostenverteilung innerhalb dieser Gruppe zurückzuführen sind. Insoweit besteht das Ziel der Rn. 22 der Leitlinien darin, zu verhindern, dass sich eine Unternehmensgruppe ihrer Kosten, Schulden oder Verbindlichkeiten zulasten eines Unternehmens der Gruppe entledigt und somit dieses in eine Situation bringt, in der ihm eine Rettungsbeihilfe gewährt werden kann, obwohl es diese andernfalls nicht benötigen würde. Dagegen besteht das Ziel dieser Randnummer nicht darin, ein Unternehmen, das einer Unternehmensgruppe angehört, allein deshalb vom Geltungsbereich der Rettungsbeihilfen auszuschließen, weil seine Schwierigkeiten auf den Schwierigkeiten der restlichen Unternehmensgruppe oder einer anderen Gesellschaft der Unternehmensgruppe beruhen, sofern diese Schwierigkeiten nicht künstlich geschaffen oder innerhalb dieser Unternehmensgruppe willkürlich verteilt worden sind. Da es der Klägerin im vorliegenden Fall nicht gelungen ist, die Schlussfolgerungen der Kommission zu widerlegen, dass die Schwierigkeiten von Condor hauptsächlich auf die Liquidation der Thomas Cook Gruppe und nicht auf eine willkürliche Kostenverteilung innerhalb der Gruppe zurückzuführen seien, hat die Klägerin nicht dargetan, dass Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit der angemeldeten Beihilfemaßnahme mit der in Rn. 22 der Leitlinien vorgesehenen Voraussetzung bestanden hätten. Diese Schlussfolgerung wird nicht durch die Feststellung in Frage gestellt, dass die Schwierigkeiten von Condor insoweit damit in Zusammenhang standen, dass Forderungen in erheblicher Höhe in Wegfall gerieten, die sie im Rahmen der Liquiditätsbündelung der Thomas Cook Gruppe gegenüber dieser hatte. Die Liquiditätsbündelung innerhalb einer Gruppe ist nämlich eine gängige und verbreitete Praxis von Unternehmensgruppen, die die Finanzierung der Unternehmensgruppe dadurch erleichtern soll, dass den Gesellschaften dieser Gruppe Einsparungen bei Finanzierungskosten ermöglicht werden. Außerdem war dieses System der Liquiditätsbündelung im vorliegenden Fall von der Thomas Cook Gruppe bereits vor mehreren Jahren eingeführt worden, und deren Schwierigkeiten waren nicht auf dieses System zurückzuführen. Mangels konkreter Anhaltspunkte für die Feststellung der Willkürlichkeit des Systems der Liquiditätsbündelung der Thomas Cook Gruppe war die Kommission nicht verpflichtet, aus eigener Initiative Erhebungen zur Fairness dieses Systems anzustellen. Der Klägerin ist es außerdem nicht gelungen, darzutun, dass bei der Prüfung der in Rn. 22 der Leitlinien vorgesehenen Voraussetzung Bedenken bestanden, wonach die www.curia.europa.eu Schwierigkeiten eines Unternehmens, das wie Condor einer Gruppe angehört, so gravierend sein müssen, dass sie von der Gruppe selbst nicht bewältigt werden können. Insoweit weist das Gericht zum einen darauf hin, dass sich die Thomas Cook Gruppe selbst in Liquidation befand und alle ihre Tätigkeiten eingestellt hatte. Zum anderen stellt das Gericht klar, dass die Kommission angesichts der Dringlichkeit im Zusammenhang mit Rettungsbeihilfen und der Unsicherheiten, die mit laufenden geschäftlichen Verhandlungen immer einhergehen, nicht verpflichtet war, den Ausgang der Verhandlungen über eine etwaige Veräußerung von Condor zur Bewältigung ihrer finanziellen Schwierigkeiten abzuwarten. Sodann weist das Gericht die Rüge zurück, wonach die Kommission Bedenken hätte haben müssen, ob die angemeldete Beihilfe den in Rn. 44 Buchst. b der Leitlinien dargelegten Anforderungen entspricht. In dieser Bestimmung werden die Kriterien festgelegt, anhand deren die Mitgliedstaaten feststellen können, dass der Ausfall des begünstigten Unternehmens wahrscheinlich zu schwerwiegenden sozialen Härten oder zu schwerem Marktversagen führen würde. Nach Rn. 44 Buchst. b der Leitlinien können die Mitgliedstaaten diesen Nachweis erbringen, indem sie dartun, dass „die Gefahr einer Unterbrechung der Erbringung eines wichtigen Dienstes gegeben ist, der nur schwer zu ersetzen ist, wobei es für Wettbewerber schwierig wäre, die Erbringung der Dienstleistung einfach zu übernehmen (z. B. nationaler Infrastrukturanbieter)“. Für die Einstufung eines Dienstes als „wichtig“ ist es nach Auffassung des Gerichts weder erforderlich, dass das Unternehmen, das diesen erbringt, eine wichtige systemrelevante Rolle für die Wirtschaft eines Gebiets des betreffenden Mitgliedstaats spielt, noch erforderlich, dass es mit der Erbringung einer Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse oder einer Dienstleistung von Bedeutung auf nationaler Ebene betraut ist. Im Hinblick darauf, dass eine sofortige Rückholung von 200 000 bis 300 000 Condor-Fluggästen aus 50 bis 150 verschiedenen Zielorten nicht kurzfristig von anderen miteinander im Wettbewerb stehenden Luftfahrtunternehmen hätte übernommen werden können, hatte die Kommission somit zu Recht festgestellt, dass die Gefahr einer Unterbrechung der Erbringung eines wichtigen Dienstes gegeben war, der nur schwer zu ersetzen war, so dass der Marktaustritt von Condor zu schwerem Marktversagen hätte führen können. Schließlich weist das Gericht auch die Rüge der Klägerin als unbegründet zurück, wonach die Kommission die in Rn. 74 der Leitlinien vorgesehene Voraussetzung der Einmaligkeit der Rettungsbeihilfe unvollständig und unzureichend geprüft habe. Zweitens weist das Gericht den Klagegrund einer Verletzung der Begründungspflicht durch die Kommission zurück und folglich die Klage insgesamt ab.

HINWEIS: Gegen die Entscheidung des Gerichts kann innerhalb von zwei Monaten und zehn Tagen nach ihrer Zustellung ein auf Rechtsfragen beschränktes Rechtsmittel beim Gerichtshof eingelegt werden.

HINWEIS: Eine Nichtigkeitsklage dient dazu, unionsrechtswidrige Handlungen der Unionsorgane für nichtig erklären zu lassen. Sie kann unter bestimmten Voraussetzungen von Mitgliedstaaten, Organen der Union oder Einzelnen beim Gerichtshof oder beim Gericht erhoben werden. Ist die Klage begründet, wird die Handlung für nichtig erklärt. Das betreffende Organ hat eine durch die Nichtigerklärung der Handlung etwa entstehende Regelungslücke zu schließen

(Quelle: Gericht der Europäischen Union PRESSEMITTEILUNG Nr. 87/22)

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