Europarecht: Nach Auffassung von Generalanwalt Wahl kann ein Anbieter von Luxuswaren seinen autorisierten Händlern verbieten, seine Waren auf Drittplattformen wie Amazon oder eBay zu verkaufen
Schlussanträge des Generalanwalts in der Rechtssache C-230/16
Coty Germany GmbH / Parfümerie Akzente GmbH
Ein solches Verbot, das die Wahrung der luxuriösen Ausstrahlung der betreffenden Waren bezweckt, fällt unter bestimmten Bedingungen nicht unter das Kartellverbot, da es geeignet ist, den auf qualitativen Kriterien beruhenden Wettbewerb zu verbessern.
Coty Germany ist einer der führenden Anbieter von Luxuskosmetik in Deutschland. Um die luxuriöse Ausstrahlung bestimmter von ihr angebotener Marken zu wahren, vertreibt sie diese im selektiven Vertrieb, d. h. über autorisierte Händler. Die Ladengeschäfte dieser Händler müssen einige Anforderungen hinsichtlich Umgebung, Ausstattung und Einrichtung erfüllen. Die autorisierten Händler sind auch berechtigt, die Vertragswaren im Internet anzubieten und zu verkaufen. Hierzu sehen die Vertriebsverträge nach einer Überarbeitung im Jahr 2012 vor, dass dies nur unter der Bedingung gilt, dass das Internet-Geschäft als „elektronisches Schaufester“ des autorisierten Ladengeschäfts geführt wird und hierbei der Luxuscharakter der Produkte gewahrt bleibt. Außerdem ist es dem autorisieren Händler verboten, für den Verkauf der Vertragswaren im Internet nach außen erkennbar nicht autorisierte Drittunternehmen einzuschalten.
Die Parfümerie Akzente vertreibt seit vielen Jahren als autorisierter Einzelhändler die Produkte von Coty Germany sowohl in ihren Ladengeschäften als auch im Internet. Der Internetverkauf erfolgt zum Teil über ihren eigenen Internet-Shop und zum Teil über die Plattform „amazon.de“. Da die Parfümerie Akzente den im Jahr 2012 eingeführten Änderungen des Vertriebsvertrags nicht zustimmte, erhob Coty Germany vor deutschen Gerichten Klage, um ihr zu untersagen, die Vertragswaren über die Plattform „amazon.de“ zu vertreiben.
In diesem Kontext fragt das Oberlandesgericht Frankfurt am Main den Gerichtshof, ob das fragliche Verbot mit dem Wettbewerbsrecht der Union vereinbar ist.
In seinen Schlussanträgen vom heutigen Tag weist Generalanwalt Nils Wahl zunächst darauf hin, dass der Gerichtshof bereits anerkannt hat, dass Luxuswaren in Anbetracht ihrer Eigenschaften und ihres Wesens die Einrichtung eines selektiven Vertriebssystems erfordern können, um ihre Qualität zu wahren und ihren richtigen Gebrauch zu gewährleisten.
Nach einer Rechtsprechung (Urteil des Gerichtshofs vom 25.10.1977, Metro SBGroßmärkte/Kommission (26/76)), die nach wie vor gilt, (der Generalanwalt weist die These zurück, wonach diese Rechtsprechung durch das Urteil des Gerichtshofs vom 13.10.2011, Pierre Fabre Dermo-Cosmétique (C-439/09, vgl. auch Pressemitteilung Nr. 110/11), in Frage gestellt worden sei), fallen selektive Vertriebssysteme, die – wie das System von Coty Germany – auf den Vertrieb von Luxus- und Prestigewaren gerichtet sind und primär der Sicherstellung eines „Luxusimages“ der Waren dienen, nicht von vorneherein unter das Kartellverbot (Nach Art. 101 Abs. 1 AEUV), wenn sie drei Kriterien erfüllen:
Erstens muss die Auswahl der Wiederverkäufer anhand objektiver Gesichtspunkte qualitativer Art erfolgen, die einheitlich für alle in Betracht kommenden Wiederverkäufer festgelegt und ohne Diskriminierung angewendet werden.
Zweitens muss die Natur des fraglichen Erzeugnisses einschließlich des Prestigeimages zur Wahrung seiner Qualität und zur Gewährleistung seines richtigen Gebrauchs einen selektiven Vertrieb erfordern.
Drittens dürfen die festgelegten Kriterien nicht über das erforderliche Maß hinausgehen.
Konkret zu der streitigen Klausel, nach der Coty Germany ihren autorisierten Händlern verbietet, für Online-Verkäufe der Vertragswaren nach außen erkennbar Drittplattformen einzuschalten, ist der Generalanwalt der Auffassung, dass auch eine solche Klausel nicht von vorneherein unter das Kartellverbot fällt, wenn sie erstens durch die Natur der Ware bedingt ist, zweitens einheitlich festgelegt und unterschiedslos angewandt wird und drittens nicht über das Erforderliche hinausgeht. Es wird letztlich Aufgabe des Oberlandesgerichts sein, zu prüfen, ob dies der Fall ist.
Nach Ansicht des Generalanwalts dürfte die streitige Klausel, vorbehaltlich der Prüfung durch das Oberlandesgericht, nicht unter das Kartellverbot fallen.
Was insbesondere die Legitimität dieser Klausel betrifft, ist das durch sie vorgesehene Verbot geeignet, den auf qualitativen Kriterien beruhenden Wettbewerb zu verbessern. Dieses Verbot ist nämlich geeignet, das Luxusimage der betreffenden Waren in verschiedener Hinsicht zu wahren. Es gewährleistet nämlich nicht nur, dass diese Waren in einer Umgebung verkauft werden, die den von der Spitze des Vertriebsnetzes gestellten Qualitätsanforderungen entspricht, sondern erlaubt es auch, sich gegen Phänomene des Parasitismus zu wappnen und zu verhindern, dass die vom Anbieter und anderen zugelassenen Händlern zur Verbesserung der Qualität und des Ansehens der betreffenden Waren unternommenen Investitionen und Anstrengungen anderen Unternehmen zu Gute kommen.
Coty Germany hat keineswegs eine absolutes Verbot des Online-Verkaufs vorgesehen, sondern ihren autorisierten Händlern lediglich vorgeschrieben, die Vertragswaren nicht über Drittplattformen zu vermarkten, da diese nicht verpflichtet seien, die qualitativen Anforderungen zu erfüllen, die sie ihren autorisierten Händlern vorgebe. Die streitige Klausel erhält den autorisierten Händlern in der Tat die Möglichkeit, die Vertragswaren über ihre eigenen Internetseiten zu vertreiben. Zudem verbietet sie es ihnen nicht, nach außen nicht erkennbar Drittplattformen für den Vertrieb der Vertragswaren zu nutzen.
Außerdem sind in diesem Stadium der Entwicklung des elektronischen Handels die eigenen Online-Verkaufsstellen der Vertriebshändler der bevorzugte Vertriebskanal im Internet. Daher lässt sich das an die autorisierten Händler gerichtete Verbot, nach außen erkennbar Drittplattformen einzuschalten, ungeachtet der zunehmenden Bedeutung dieser Plattformen bei der Vermarktung der Waren der Einzelhändler zum gegenwärtigen Stand der Entwicklung des elektronischen Handels nicht mit einem völligen Verbot oder einer wesentlichen Beschränkung des Verkaufs über das Internet vergleichen.
Was die Verhältnismäßigkeit betrifft, sind nach Auffassung des Generalanwalts keine Aspekte ersichtlich, die den Schluss zuließen, dass das streitige Verbot zum jetzigen Zeitpunkt allgemein als in einem Missverhältnis zum angestrebten Ziel stehend anzusehen wäre. Insbesondere kann die Einhaltung qualitativer Vorgaben, die im Rahmen eines selektiven Vertriebssystems in legitimer Weise verlangt werden kann, nur wirksam gewährleistet werden, wenn die Umgebung des Internetverkaufs von autorisierten Händlern, die vertraglich an den Anbieter/die Spitze des Vertriebsnetzes gebunden sind, und nicht von einem Drittbetreiber, dessen Praktiken sich dem Einfluss des Anbieters entziehen, gestaltet wird.
Für den Fall, dass entschieden wird, dass die streitigen Beschränkungen grundsätzlich unter das Kartellverbot fallen und zudem tatsächlich wettbewerbsbeschränkend sind, prüft der Generalanwalt noch, ob sie geeignet sind, in den Genuss einer Freistellung, insbesondere einer Gruppenfreistellung gemäß der Verordnung Nr. 330/20105 zu kommen.
Hierzu ist er der Auffassung, dass das streitige Verbot keine Kernbeschränkung im Sinne dieser Verordnung darstellt, so dass es nicht von vorneherein vom Rechtsvorteil einer Gruppenfreistellung ausgeschlossen ist. Das streitige Verbot stellt nämlich weder eine Beschränkung der Kundengruppe des Einzelhändlers noch eine Beschränkung des passiven Verkaufs an Endverbraucher dar.
HINWEIS:
Die Schlussanträge des Generalanwalts sind für den Gerichtshof nicht bindend. Aufgabe des Generalanwalts ist es, dem Gerichtshof in völliger Unabhängigkeit einen Entscheidungsvorschlag für die betreffende Rechtssache zu unterbreiten. Die Richter des Gerichtshofs treten nunmehr in die Beratung ein. Das Urteil wird zu einem späteren Zeitpunkt verkündet
HINWEIS:
Im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens können die Gerichte der Mitgliedstaaten in einem bei ihnen anhängigen Rechtsstreit dem Gerichtshof Fragen nach der Auslegung des Unionsrechts oder nach der Gültigkeit einer Handlung der Union vorlegen. Der Gerichtshof entscheidet nicht über den nationalen Rechtsstreit. Es ist Sache des nationalen Gerichts, über die Rechtssache im Einklang mit der Entscheidung des Gerichtshofs zu entscheiden. Diese Entscheidung des Gerichtshofs bindet in gleicher Weise andere nationale Gerichte, die mit einem ähnlichen Problem befasst werden.
(Quelle: Pressestelle des Europäischen Gerichtshofes)