Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 17.11.2015 – 1 AZR 938/13 Benachteiligung wegen Behinderung bei Sozialplanabfindung
Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 17.11.2015 – 1 AZR 938/13
Eine unmittelbar an das Merkmal der Behinderung anknüpfende Bemessung einer Sozialplanabfindung darf schwerbehinderte Arbeitnehmer nicht benachteiligen. Anderenfalls ist sie unwirksam.
Der am 31.07.1950 geborene und mit einem Grad der Behinderung von 70 schwerbehinderte Kläger war vom 01.05.1980 bis zum 31.03.2012 bei der Beklagten beschäftigt und verdiente zuletzt monatlich EUR 3.852,00. Das Arbeitsverhältnis endete aus betriebsbedingten Gründen wegen Stilllegung einer Betriebsabteilung. Nach dem bei der Beklagten aus Anlass dieser Betriebsänderung vereinbarten Sozialplan erhalten Arbeitnehmer, die betriebsbedingt ihren Arbeitsplatz verlieren, grundsätzlich eine Abfindung, die sich nach der Formel “Betriebszugehörigkeit x Monatsentgelt x Faktor” errechnet. Beschränkungen ergeben sich für Mitarbeiter, die
- aufgrund einer Schwerbehinderung zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Rente in Anspruch nehmen können,
- sowie für Mitarbeiter, deren Geburtstag vor dem 01.01.1952 liegt.
Bei diesen gelten folgende Regelungen:
- Erstere erhalten lediglich eine Abfindung i.H.v. EUR 10.000,00.
- Letztere erhalten, sofern diese nach einem Arbeitslosengeldbezug (ALG I) von bis zu maximal zwölf Monaten die vorzeitige Altersrente wegen Arbeitslosigkeit erstmals in Anspruch nehmen können, einen maximalen Abfindungsbetrag i.H.v. EUR 40.000,00.
- Des Weiteren erhalten nach dem Sozialplan Menschen mit einer Schwerbehinderung oder diesen Gleichgestellte einen Zuschlag zur Abfindung i.H.v. EUR 1.000,00.
Der Kläger konnte laut Rentenbescheid ab dem 01.01.2010 eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen mit Abschlägen beziehen. Ohne Abschläge hätte er frühestens ab dem 01.01.2013 eine solche Altersrente in Anspruch nehmen können. Bei der regulären Anwendung der Formel hätte der Kläger eine Sozialplanabfindung i.H.v. EUR 64.558,00 erhalten. Die Beklagte zahlte ihm jedoch nur eine Abfindung von EUR 11.000,00. Mit seiner Klage begehrte der Kläger eine weitere Abfindung i.H.v. EUR 53.558,00, hilfsweise i.H.v. EUR 30.000,00 nebst Zinsen mit der Begründung, die im Sozialplan vorgenommenen Beschränkungen für Mitarbeiter mit einer Schwerbehinderung diskriminierten ihn wegen seiner Behinderung.
Das Arbeitsgericht gab der Klage iHv. EUR 30.000,00 statt und wies sie im Übrigen ab. Die von der Beklagten eingelegte Berufung blieb erfolglos. Das Landesarbeitsgericht entschied,
- eine Sozialplanregelung, welche für schwerbehinderte Arbeitnehmer eine pauschale Abfindung vorsehe, während die Abfindungshöhe nicht schwerbehinderter Arbeitnehmer in Abhängigkeit von Betriebszugehörigkeit, Entgelthöhe und Rentennähe berechnet werde, sei wegen Verstoßes gegen das Verbot der Diskriminierung schwerbehinderter Menschen nach § 7 Abs. 2 i.V.m. §§ 1, 7 Abs. 1 AGG (Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz) unwirksam, wenn sie dazu führe, dass die Abfindung für einen wesentlichen Teil der Gruppe der schwerbehinderten Arbeitnehmer geringer ausfalle, als die der nicht schwerbehinderten Arbeitnehmer mit gleicher Betriebszugehörigkeit und gleichem Alter bei gleicher Entgelthöhe.
- Eine Sozialplanregelung, welche Mitarbeiter wegen der Möglichkeit des Bezugs einer Altersrente als Vollrente von jeder Abfindungsleistung ausschließe, führe zu einer “verdeckten” unmittelbaren Benachteiligung schwerbehinderter Arbeitnehmer, wenn bereits die nur diesen eröffnete Möglichkeit zum früheren Renteneintritt den Anspruchsausschluss zur Folge habe.
- Die teilweise Unwirksamkeit der Sozialplanregelung habe zur Folge, dass der schwerbehinderte Arbeitnehmer Zahlung einer Abfindung in der Höhe verlangen könne, wie sie ein nicht schwerbehinderter Arbeitnehmer mit gleicher Betriebszugehörigkeit, gleichem Entgelt und gleichem Alter verlangen könnte.
Auch vor dem Bundesarbeitsgericht hatte die Beklagte keinen Erfolg. Nach dessen Auffassung hat ein mit der Differenzierung eines Sozialplans für die Berechnung einer Abfindung zwischen unterschiedlichen Arbeitnehmergruppen einhergehender Systemwechsel die Diskriminierungsverbote des AGG zu beachten. In der Regelung über den pauschalierten Abfindungsbetrag für Arbeitnehmer, die wegen ihrer Schwerbehinderung rentenberechtigt sind, liege eine unmittelbar an das Merkmal der Behinderung knüpfende, behinderte Arbeitnehmer benachteiligende Ungleichbehandlung. Sie dürfe gemäß § 7 Abs. 2 AGG ihnen gegenüber nicht angewendet werden.
Fazit:
Ein Sozialplan darf zwar eine geminderte Entlassungsabfindung für Arbeitnehmer vorsehen, die kurz vor dem Renteneintritt stehen. Hierzu trifft das AGG in § 10 S. 3 Ziff. 6 ausdrücklich eine Ausnahmeregelung. Eine solche Ungleichbehandlung kann nämlich durch das Ziel gerechtfertigt werden, einen Ausgleich für die Zukunft zu gewähren und die jüngeren Arbeitnehmer zu schützen und sie trägt zugleich der Notwendigkeit einer gerechten Verteilung der begrenzten finanziellen Mittel eines Sozialplans Rechnung. Wegen der Überbrückungsfunktion einer Sozialplanabfindung sei es daher nicht zu beanstanden, wenn die Betriebsparteien bei rentennahen Arbeitnehmern nur deren bis zum vorzeitigen Renteneintritt entstehenden wirtschaftlichen Nachteile nach einer darauf bezogenen Berechnungsformel ausgleichen (vgl. Bundesarbeitsgericht vom 27.03.2013 – 1 AZR 813/11). Es stellt jedoch eine Diskriminierung dar, wenn bei der Berechnung einer Abfindung auf die Möglichkeit der Inanspruchnahme einer vorzeitigen Altersrente wegen Behinderung abgestellt wird und sich daraus eine geringere Abfindung für den behinderten Arbeitnehmer ergibt. Bezüglich des Merkmals der Behinderung gibt es gerade keine Ausnahmeregelung.