EuGH: Der Betreiber einer Facebook-Fanpage ist gemeinsam mit Facebook für die Verarbeitung der personenbezogenen Daten der Besucher seiner Seite verantwortlich
(*1) Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24.10.1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (ABl. 1995, L 281, S. 31). Diese Richtlinie wurde mit Wirkung vom 25.05.2018 durch die Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27.04.2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (ABl. 2016, L 119, S. 1) aufgehoben.
Die Wirtschaftsakademie Schleswig-Holstein ist ein auf den Bereich Bildung spezialisiertes Unternehmen. Sie bietet u. a. über eine auf Facebook unter der Adresse www.facebook.com/wirtschaftsakademie unterhaltene Fanpage (*2) Bildungsdienstleistungen an.
(*2) Fanpages sind Benutzerkonten, die bei Facebook von Privatpersonen oder Unternehmen eingerichtet werden können. Der Fanpage-Anbieter kann nach einer Registrierung bei Facebook die von diesem unterhaltene Plattform dazu benutzen, sich den Nutzern dieses sozialen Netzwerks sowie Personen, die die Fanpage besuchen, zu präsentieren und Äußerungen aller Art in den Medien- und Meinungsmarkt einzubringen.
Die Betreiber von Fanpages wie die Wirtschaftsakademie können mit Hilfe der Funktion Facebook Insight, die ihnen Facebook als nicht abdingbaren Teil des Benutzungsverhältnisses kostenfrei zur Verfügung stellt, anonymisierte statistische Daten betreffend die Nutzer dieser Seiten erhalten. Diese Daten werden mit Hilfe sogenannter Cookies gesammelt, die jeweils einen eindeutigen Benutzercode enthalten, der für zwei Jahre aktiv ist und den Facebook auf der Festplatte des Computers oder einem anderen Datenträger der Besucher der Fanpage speichert. Der Benutzercode, der mit den Anmeldungsdaten solcher Nutzer, die bei Facebook registriert sind, verknüpft werden kann, wird beim Aufrufen der Fanpages erhoben und verarbeitet.
Mit Bescheid vom 03.11.2011 ordnete das Unabhängige Landeszentrum für Datenschutz Schleswig-Holstein – als nach der Richtlinie 95/46 für die Überwachung der Anwendung der von Deutschland zur Umsetzung dieser Richtlinie erlassenen Vorschriften im Gebiet des Bundeslandes Schleswig-Holstein zuständige Kontrollstelle – gegenüber der Wirtschaftsakademie an, ihre Fanpage zu deaktivieren. Nach Auffassung des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz wiesen nämlich weder die Wirtschaftsakademie noch Facebook die Besucher der Fanpage darauf hin, dass Facebook mittels Cookies sie betreffende personenbezogene Daten erhebt und diese Daten danach verarbeitet.
Die Wirtschaftsakademie erhob beim Verwaltungsgericht in Deutschland eine verwaltungsgerichtliche Klage gegen diesen Bescheid und machte geltend, dass ihr die Verarbeitung personenbezogener Daten durch Facebook nicht zugerechnet werden könne und sie Facebook auch nicht mit einer von ihr kontrollierten oder beeinflussbaren Datenverarbeitung beauftragt habe. Daraus leitete die Wirtschaftsakademie ab, dass das Unabhängige Landeszentrum direkt gegen Facebook und nicht gegen sie hätte vorgehen müssen.
Vor diesem Hintergrund ersucht das Bundesverwaltungsgericht (Deutschland) den Gerichtshof um Auslegung der Richtlinie 95/46.
In seinem Urteil vom heutigen Tag stellt der Gerichtshof zunächst fest, dass in der vorliegenden Rechtssache nicht in Zweifel gezogen wird, dass die amerikanische Gesellschaft Facebook und, was die Union betrifft, deren irische Tochtergesellschaft Facebook Ireland als „für die Verarbeitung“ der personenbezogenen Daten der Facebook-Nutzer und der Personen, die die auf Facebook unterhaltenen Fanpages besucht haben, „Verantwortliche“ anzusehen sind. Denn diese Gesellschaften entscheiden in erster Linie über die Zwecke und Mittel der Verarbeitung dieser Daten.
Sodann befindet der Gerichtshof, dass ein Betreiber wie die Wirtschaftsakademie als in der Union gemeinsam mit Facebook Ireland für die fragliche Datenverarbeitung verantwortlich anzusehen ist.
Ein solcher Betreiber ist nämlich durch die von ihm vorgenommene Parametrierung (u. a. entsprechend seinem Zielpublikum sowie den Zielen der Steuerung oder Förderung seiner Tätigkeiten) an der Entscheidung über die Zwecke und Mittel der Verarbeitung der personenbezogenen Daten der Besucher seiner Fanpage beteiligt. Der Gerichtshof weist insoweit darauf hin, dass der Fanpage-Betreiber insbesondere demografische Daten über seine Zielgruppe – und damit die Verarbeitung dieser Daten – verlangen kann (u. a. Tendenzen in den Bereichen Alter, Geschlecht, Beziehungsstatus und berufliche Situation), Informationen über den Lebensstil und die Interessen seiner Zielgruppe (einschließlich Informationen über die Käufe und das Online-Kaufverhalten der Besucher seiner Seite sowie über die Kategorien von Waren oder Dienstleistungen, die sie am meisten interessieren) und geografische Daten, die ihn darüber informieren, wo spezielle Werbeaktionen durchzuführen oder Veranstaltungen zu organisieren sind und ihm ganz allgemein ermöglichen, sein Informationsangebot so zielgerichtet wie möglich zu gestalten.
Nach Ansicht des Gerichtshofs kann der Umstand, dass ein Betreiber einer Fanpage die von Facebook eingerichtete Plattform nutzt, um die dazugehörigen Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen, diesen nicht von der Beachtung seiner Verpflichtungen im Bereich des Schutzes personenbezogener Daten befreien.
Der Gerichtshof betont, dass die Anerkennung einer gemeinsamen Verantwortlichkeit des Betreibers des sozialen Netzwerks und des Betreibers einer bei diesem Netzwerk unterhaltenen Fanpage im Zusammenhang mit der Verarbeitung personenbezogener Daten der Besucher dieser Fanpage dazu beiträgt, entsprechend den Anforderungen der Richtlinie 95/46 einen umfassenderen Schutz der Rechte sicherzustellen, über die die Personen verfügen, die eine Fanpage besuchen.
Des Weiteren stellt der Gerichtshof fest, dass das Unabhängige Landeszentrum zuständig war, zur Gewährleistung der Einhaltung der Vorschriften zum Schutz personenbezogener Daten im deutschen Hoheitsgebiet von sämtlichen Befugnissen, über die es nach den deutschen Bestimmungen zur Umsetzung der Richtlinie 95/46 verfügt, nicht nur gegenüber der Wirtschaftsakademie, sondern auch gegenüber Facebook Germany Gebrauch zu machen.
Wenn ein außerhalb der Union ansässiges Unternehmen (wie die amerikanische Gesellschaft Facebook) mehrere Niederlassungen in verschiedenen Mitgliedstaaten unterhält, ist die Kontrollstelle eines Mitgliedstaats nämlich auch dann zur Ausübung der ihr durch die Richtlinie 95/46 (*3) übertragenen Befugnisse gegenüber einer im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats gelegenen Niederlassung dieses Unternehmens befugt, wenn nach der konzerninternen Aufgabenverteilung zum einen diese Niederlassung (hier Facebook Germany) allein für den Verkauf von Werbeflächen und sonstige Marketingtätigkeiten im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats zuständig ist, und zum anderen die ausschließliche Verantwortung für die Erhebung und Verarbeitung personenbezogener Daten für das gesamte Gebiet der Union einer in einem anderen Mitgliedstaat gelegenen Niederlassung (hier Facebook Ireland) obliegt.
(*3) Konkret Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 95/46.
Weiter führt der Gerichtshof aus, dass dann, wenn die Kontrollstelle eines Mitgliedstaats (hier das Unabhängige Landeszentrum in Deutschland) beabsichtigt, gegenüber einer im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats ansässigen Stelle (hier die Wirtschaftsakademie) wegen Verstößen gegen die Vorschriften über den Schutz personenbezogener Daten, die von einem Dritten begangen wurden, der für die Verarbeitung dieser Daten verantwortlich ist und seinen Sitz in einem anderen Mitgliedstaat hat (hier Facebook Ireland), die Einwirkungsbefugnisse nach der Richtlinie 95/46 (*4) auszuüben, diese Kontrollstelle zuständig ist, die Rechtmäßigkeit einer solchen Datenverarbeitung unabhängig von der Kontrollstelle des letztgenannten Mitgliedstaats (Irland) zu beurteilen und ihre Einwirkungsbefugnisse gegenüber der in ihrem Hoheitsgebiet ansässigen Stelle auszuüben, ohne zuvor die Kontrollstelle des anderen Mitgliedstaats um ein Eingreifen zu ersuchen.
(*4) U. a. die Befugnis, die Sperrung, Löschung oder Vernichtung von Daten oder das vorläufige oder endgültige Verbot einer Verarbeitung anzuordnen (Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 95/46).
HINWEIS: Im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens können die Gerichte der Mitgliedstaaten in einem bei ihnen anhängigen Rechtsstreit dem Gerichtshof Fragen nach der Auslegung des Unionsrechts oder nach der Gültigkeit einer Handlung der Union vorlegen. Der Gerichtshof entscheidet nicht über den nationalen Rechtsstreit. Es ist Sache des nationalen Gerichts, über die Rechtssache im Einklang mit der Entscheidung des Gerichtshofs zu entscheiden. Diese Entscheidung des Gerichtshofs bindet in gleicher Weise andere nationale Gerichte, die mit einem ähnlichen Problem befasst werden.
(Quelle Pressemitteilung EuGH)