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EuGH: Schlussanträge der Generalanwältin C-238/21 | Porr Bau Bodenaushub ist kein Abfall

Nach Auffassung von Generalanwältin Medina ist es möglich, dass nicht kontaminierter Bodenaushub von höchster Qualität, den ein Bauunternehmen örtlichen Landwirten zur Verbesserung ihrer Anbauflächen liefert, unionsrechtlich kein „Abfall“ ist Nicht kontaminierter Bodenaushub von höchster Qualität, dessen Auslieferung erfolge, nachdem er ausgewählt und einer Qualitätskontrolle unterzogen wurde, sei ein Nebenprodukt, sofern die in der Abfallrichtlinie niedergelegten Voraussetzungen erfüllt seien. Im Juli 2015 wurde Porr Bau, ein österreichisches Bauunternehmen, von verschiedenen Landwirten darum ersucht, ihnen Bodenaushub zur Verbesserung ihrer Anbauflächen zu liefern. Nach Auswahl eines geeigneten Bauvorhabens und Entnahme von Bodenproben wurde von Porr Bau das gewünschte Material geliefert. Der Boden war überprüft und nach österreichischem Recht in die höchste Qualitätsklasse für nicht kontaminierten Bodenaushub eingestuft worden. Der Einsatz von solchem Boden ist zum Zweck der Geländeanpassung geeignet und zulässig. Die nationalen Behörden vertraten in einem Bescheid die Auffassung, dass es sich bei dem fraglichen Bodenaushub um Abfall im Sinne des österreichischen Abfallwirtschaftsgesetzes handele und dass er daher dem Altlastenbeitrag unterliege. Diese Behörden waren ferner der Ansicht, dass für den Bodenaushub zum Zeitpunkt seiner Lieferung das Ende der Abfalleigenschaft im Wesentlichen deshalb noch nicht eingetreten sei, weil bestimmte Formalkriterien nicht eingehalten worden seien. Das Landesverwaltungsgericht Steiermark, vor dem dieser Bescheid angefochten wurde, hat Fragen zur Auslegung der Abfallrichtlinie vorgelegt. Diese Fragen beziehen sich erstens auf den Begriff „Abfall“ und zweitens auf die Voraussetzungen, unter denen für Aushubmaterial, namentlich für nicht kontaminierten Bodenaushub von höchster Qualität, die Abfalleigenschaft endet.

In ihren heute verlesenen Schlussanträgen führt Generalanwältin Laila Medina zunächst aus, dass ein Bauunternehmen, das Boden nach sorgfältiger Auswahl und Qualitätsprüfung als unkontaminiertes Material von höchster Qualität ausliefere, um einer konkreten Anfrage örtlicher Landwirte nachzukommen, nicht die Absicht verfolge, sich des Bodens zu entledigen, sondern vielmehr bestrebt sei, ihn unter für das Unternehmen vorteilhaften Bedingungen zu nutzen. Bodenaushub sei daher unter den konkreten Umständen der vorliegenden Rechtssache nicht als Abfall im Sinne der Richtlinie anzusehen. Vielmehr stelle nicht kontaminierter Bodenaushub von höchster Qualität, der ausgeliefert werde, um einer konkreten Anfrage örtlicher Wirtschaftsteilnehmer nachzukommen, nachdem dieser Boden ausgewählt und einer Qualitätsprüfung unterzogen worden sei, ein Nebenprodukt dar, sofern die in der Richtlinie niedergelegten Voraussetzungen erfüllt seien und insbesondere dieser Boden keine negativen Auswirkungen auf die Umwelt und die menschliche Gesundheit habe.

Generalanwältin Medina weist darauf hin, dass die Mitgliedstaaten, was das Ende der Abfalleigenschaft anbelange, dafür sorgen müssten, dass nationale Rechtsvorschriften die Verwirklichung der Ziele der Richtlinie nicht behinderten. Zu diesen Zielen gehöre es, die Anwendung der Abfallhierarchie und die Verwertung von Abfällen zu fördern sowie verwertete Materialien zur Erhaltung der natürlichen Rohstoffquellen zu verwenden und eine RecyclingWirtschaft zu schaffen. Im vorliegenden Fall sei es sicherlich Sache eines nationalen Gerichts, erforderlichenfalls auf der Grundlage einer wissenschaftlichen und technischen Analyse zu beurteilen, ob eine durchgeführte Qualitäts- und Kontaminierungsprüfung des Bodenaushubs sich dafür eigne, Schäden für die Umwelt und die menschliche Gesundheit auszuschließen, und ob sie außerdem dafür geeignet sei, festzustellen, ob die in der Richtlinie niedergelegten Voraussetzungen beachtet worden seien. Falls diese Beurteilung positiv ausfalle, sei, sobald Kontrollen ergäben, dass der Bodenaushub nicht kontaminiert und dass er von höchster Qualität sei, von einem Ende der Abfalleigenschaft auszugehen.

Nationale Rechtsvorschriften, denen zufolge das Ende der Abfalleigenschaft nicht kontaminierten Bodenaushubs von höchster Qualität nicht eintrete, wenn formalen Anforderungen ohne erkennbare Umweltrelevanz, wie etwa Aufzeichnungs- und Dokumentationspflichten, nicht nachgekommen worden sei, stünden dem Erreichen der Ziele der Richtlinie entgegen und müssten daher unangewendet bleiben.

HINWEIS: Die Schlussanträge sind für den Gerichtshof nicht bindend. Aufgabe der Generalanwältin oder des Generalanwalts ist es, dem Gerichtshof in völliger Unabhängigkeit einen Entscheidungsvorschlag für die betreffende Rechtssache zu unterbreiten. Die Richterinnen und Richter des Gerichtshofs treten nunmehr in die Beratung ein. Das Urteil wird zu einem späteren Zeitpunkt verkündet.

HINWEIS: Im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens können die Gerichte der Mitgliedstaaten in einem bei ihnen anhängigen Rechtsstreit dem Gerichtshof Fragen nach der Auslegung des Unionsrechts oder nach der Gültigkeit einer Handlung der Union vorlegen. Der Gerichtshof entscheidet nicht über den nationalen Rechtsstreit. Es ist Sache des nationalen Gerichts, über die Rechtssache im Einklang mit der Entscheidung des Gerichtshofs zu entscheiden. Diese Entscheidung des Gerichtshofs bindet in gleicher Weise andere nationale Gerichte, die mit einem ähnlichen Problem befasst werden.

(Quelle: Pressestelle Gerichtshof der Europäischen Union)

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