Entscheidung des Arbeitsgerichts Aachen vom 21.04.2015 – 1 Ca 448/15 h Mindestlohn und Arbeitsbereitschaft
Entscheidung des Arbeitsgerichts Aachen vom 21.04.2015 – 1 Ca 448/15 h
Auch nach Inkrafttreten des Mindestlohngesetzes gibt es keinen über den tarifvertraglichen Vergütungsanspruch hinausgehenden zusätzlichen gesetzlichen Vergütungsanspruch für Bereitschaftszeiten im Rettungsdienst. Die tarifvertraglichen Vergütungsregelungen im TVöD-V zu Bereitschaftszeiten im Rettungsdienst sind auch nach Inkrafttreten des MiLoG weiterhin gesetzeskonform.
Die Parteien streiten über Vergütungsansprüche für die Leistung von Bereitschaftszeiten nach dem MiLoG (Mindestlohngesetz). Der Kläger ist bei der Beklagten im Rettungsdienst tätig. Nach dem auf das Arbeitsverhältnis anzuwendenden TVöD-V (Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst – Verwaltung) beträgt der Grundlohn ohne Zulage EUR 2.680,31 monatlich bei einer tariflichen Wochenarbeitszeit von 39 Wochenstunden. Für die Tätigkeiten im Rettungsdienst gilt nach Abschnitt B des Anhangs zu § 9 TVöD-V folgende Sonderregelung: „Die Summe aus den faktorisierten Bereitschaftszeiten und der Vollarbeitszeit darf die Arbeitszeit nach § 6 Abs. 1 nicht überschreiten. Die Summe aus Vollarbeits- und Bereitschaftszeiten darf durchschnittlich 48 Stunden wöchentlich nicht überschreiten. (…) Bereitschaftszeiten werden zur Hälfte als tarifliche Arbeitszeit gewertet (faktorisiert).“
Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 TVöD sind Bereitschaftszeiten die Zeiten, in denen sich die/der Beschäftigte am Arbeitsplatz oder einer anderen vom Arbeitgeber bestimmten Stelle zur Verfügung halten muss, um im Bedarfsfall die Arbeit selbstständig, ggf. auch auf Anordnung, aufzunehmen und in denen die Zeiten ohne Arbeitsleistung überwiegen. Für die Tätigkeit des Klägers fallen regelmäßig und in nicht unerheblichem Umfang Bereitschaftszeiten an, die von der Beklagten nicht gesondert vergütet wurden. Der Kläger verlangt die zusätzliche Bezahlung dieser Zeiten.
Die Klage hatte keinen Erfolg. Nach Auffassung des Arbeitsgerichts Aachen enthalten die tarifvertraglichen Vorschriften keine Regelungen, wonach Bereitschaftszeiten nicht vergütet werden. Vielmehr erhalte der Kläger ein tarifliches Grundgehalt von EUR 2.680,31 monatlich. Hierfür schuldet der Kläger eine Arbeitszeit von 39 Stunden in der Woche, wobei die Tarifvertragsparteien ausdrücklich die Möglichkeit vorgesehen haben, dass unter Hinzuziehung von Bereitschaftszeiten Gesamtarbeitsleistungen von bis zu 48 Stunden wöchentlich im Durchschnitt (Vollarbeit zuzüglich Bereitschaftszeiten) erbracht werden können. Überdies führt das Arbeitsgericht aus, dass selbst wenn Bereitschaftszeiten vergütungsrechtlich wie Vollarbeitszeit zu bewerten wären und der Kläger jede Woche 48 Stunden tätig wäre, sein hierfür gezahlter Lohn immer noch über dem Mindestlohn von EUR 8,50/Stunde liegen würde.
Fazit:
Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Entscheidung vom 19.11.2014 – 5 AZR 1101/12) sind auch Bereitschaftsdienstzeiten mit dem Mindestlohn zu vergüten, soweit sich aus den Mindestlohnregelungen nichts Abweichendes ergibt. Auch für Bereitschaftsdienstzeiten, in denen der Arbeitnehmer nicht aktiv in Anspruch genommen wird, kann er daher den Mindestlohn geltend machen.
Die Entscheidung des Arbeitsgerichts Aachen beschäftigt sich allerdings nicht mit dem Bereitschaftsdienst, sondern mit Bereitschaftszeiten. Bereitschaftszeiten regeln die Zeiten, die allgemein als Arbeitsbereitschaft bezeichnet werden. Dies sind Zeiten während der regelmäßigen Arbeitszeit, in denen sich der Arbeitnehmer bereithält, um seine Arbeit aufzunehmen. Zwar müssen auch diese mit dem Mindestlohn vergütet werden. Dies bedeutet allerdings nicht, dass Bereitschaftszeiten stets zusätzlich zum Grundlohn zu vergüten sind. Maßgeblich ist vielmehr, ob der Grundlohn nur Vollarbeit oder aber auch Arbeitsbereitschaft, also Bereitschaftszeiten im Sinne des TVöD, mitumfasst. Im ersten Fall muss die Bereitschaftszeit zusätzlich vergütet werden, im zweiten kommt eine ergänzende Vergütung nur dann in Betracht, wenn unter Berücksichtigung der Bereitschaftszeiten die gezahlte Vergütung umgerechnet geringer ist als EUR 8,50/Stunde.
Für die Regelungen in den §§ 6 und 9 TVöD ist nach der Rechtsprechung anerkannt, dass mit diesen Bereitschaftszeiten auch dann abgegolten sind, wenn die tatsächliche Arbeitszeit bzw. die Arbeitszeit im Sinne des ArbZG über die maßgebliche Wochenarbeitszeit von 39 Stunden hinausgeht, soweit die Summe der faktorisierten Bereitschaftszeiten und der Vollarbeitszeit die Arbeitszeit nach § 6 Abs. 1 TVöD nicht überschreitet. Leistet der Arbeitnehmer also 30 Stunden Vollarbeit und 18 Stunden Bereitschaftszeit in der Woche, dann beträgt die regelmäßige, durch die Grundvergütung abgegoltene Arbeitszeit 39 Stunden, weil die Bereitschaftszeit nach § 9 Abs. 1 TVöD nur zur Hälfte als Tarifarbeitszeit gewertet wird.
Ob Bereitschaftszeiten zusätzlich zu vergüten sind, muss daher auf Grundlage der einschlägigen vertraglichen Bestimmungen entschieden werden. Sind danach auch Bereitschaftszeiten vom Grundlohn mitumfasst, scheidet eine zusätzliche Vergütung aus, es sei denn, der Stundenlohn liegt unter Berücksichtigung sämtlicher Zeiten der Vollarbeit und der Arbeitsbereitschaft unter EUR 8,50. Werden Bereitschaftszeiten vom Grundlohn nicht erfasst, dann sind diese zusätzlich zu vergüten. Die Höhe ist auf Grundlage der vertraglichen Vereinbarungen zu bestimmen; ist z.B. ein Stundenlohn vereinbart, ist im Zweifel dieser maßgeblich.